…, was würdest du heute sagen? Eines Morgens erwachte Nora und konnte plötzlich nicht mehr sprechen. Im Interview beschreibt sie ihren Weg zur Diagnose und gibt einen Einblick in das Leben mit einer seltenen Erkrankung.
Du lebst mit einer seltenen Erkrankung, bei der du plötzlich nicht mehr sprechen konntest. Wie manifestiert sie sich?
Das Eagle-Syndrom, die seltene Erkrankung, mit der ich lebe, betrifft neben der Stimme auch viele andere Bereiche. Das führt zu einer sehr diffusen und vor allem sehr schmerzhaften Symptomatik im Kopf-, Hals- und Nackenbereich. Das ist auch der Grund, warum die Erkrankung so schwer zu diagnostizieren war. Durch eine Verknöcherung von Bändern werden wichtige Hirnnerven verletzt. Sind auch die Blutgefässe betroffen, entstehen verschiedene zusätzliche Schmerzen und Probleme wie zum Beispiel intrakranielle Hypertension, Pseudotumor cerebri, Hirndruck, Schlafstörung oder Cerebrale Ischämie. Aktuell befinde ich mich leider wieder in einer Art Ausnahmezustand, weil bei mir kürzlich eine weitere Form des Eagle-Syndroms diagnostiziert wurde: nämlich das Eagle-Jugular-Syndrom mit hochgradiger Kompression der Vena jugularis interna. Bald steht meine vierte Schädel-Operation an. Der Kampf geht also weiter.
Wie waren die ersten Monate für dich? Wie hast du den Moment wahrgenommen, als du die Diagnose erhalten hast?
Die Zeit bis zur richtigen Diagnose kann man sich wie eine Vorhölle vorstellen. Man befindet sich in einem Schwebezustand, in dem man nicht weiss, was man hat, aber ein deutliches körperliches Missempfinden wahrnimmt. Man ist bei der sehr hohen Anzahl an ärztlichen Besuchen mit klinischem Labelling und Gaslighting konfrontiert. Der Tag der Diagnose ist daher eher ein Tag der Erleichterung durch die Gewissheit, obwohl die Reise dann erst losgeht.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für das Eagle-Syndrom?
Es gibt konservative Behandlungsmöglichkeiten, wie Physio- oder Infiltrationstherapie. Aufgrund der langen Diagnosezeit sind die Beschwerden aber häufig so stark chronifiziert, dass man sie nur mehr mit Operationen lösen kann. Ob eine (Teil-)Regeneration überhaupt möglich ist, hängt von vielen Faktoren ab und leider spielt dabei auch die Dauer der Erkrankung eine Rolle.
Du hast zwar deine Stimme verloren, aber nicht deine Ausdrucksform. Und du hast sogar ein Buch herausgebracht. Mit welcher Intention hast du zu schreiben begonnen?
Ich konnte über Jahre nicht sprechen, bin nur von Spital zu Spital gereist und brauchte ein Ventil dafür. Stift und Papier hatte ich immer dabei – schliesslich war das mein Mittel, um zu kommunizieren. Ich habe in dieser Zeit Listen dazu erstellt, was ich wem sagen möchte, wenn ich wieder sprechen kann. Daraus ist eine spielerische Form von Texten entstanden, die mir Freude bereitet hat. Ich dachte mir, dass das vielleicht auch anderen Leuten in schwierigen Situationen Mut machen kann. Und irgendwann habe ich begonnen, Gedichte zu schreiben – über Liebe, Sehnsüchte, Glück und Hoffnung. So ist die Idee zum Buch entstanden.
Neben deinen körperlichen Beschwerden: Mit welchen psychischen Herausforderungen warst oder bist du konfrontiert?
Körperlich nicht fit zu sein wirkt sich stark auf die Lebensqualität aus und geht mit Verlusten einher. Mein Leben hat sich von einem Tag auf den anderen verändert. Viele Zukunftsvorstellungen, Ziele und Träume haben sich in Luft aufgelöst. Die Ungewissheit, ob man sich jemals besser fühlen wird, hat mich ständig begleitet. Da es in meinem Fall kein spezifisches medizinisches Zentrum gibt, musste ich mich allein durch das Gesundheitssystem navigieren. Ich lese mich täglich in Studien ein und schreibe Ärztinnen und Ärzte im Ausland an. Vollkommen allein dazustehen wird mit der Zeit anstrengend und führt zur sozialen Isolation. Man fühlt sich unverstanden und lebt in einer anderen Welt als der eigene Bekanntenkreis. Das ist ein sehr einsames Gefühl.
Was bedeutet das Leben mit einer seltenen Erkrankung für zwischenmenschliche Beziehungen – gerade in deinem Fall, da du schlagartig nicht mehr wie gewohnt kommunizieren konntest?
Wenn man gewohnt ist, über die Stimme zu kommunizieren und keine Zeichensprache kann, fehlt in der Kommunikation die Emotion. Es geht ein Stück Persönlichkeit verloren, wenn man nicht mitscherzen kann oder fünf Minuten braucht, um auf etwas zu antworten, weil man Geschriebenes erst vorlesen lassen muss. Das war mit der Zeit sehr bitter und isolierend.
Und wie war der Moment für dich, als du wieder sprechen konntest?
Ich habe nicht mit dem Finger geschnipst und konnte wieder sprechen, sondern musste mir alles mühsam von Satz zu Satz und von Woche zu Woche neu erarbeiten. Meine Stimmkapazität war sehr gering. Ging ich über meine Grenzen, brach sofort eine neue Entzündung aus. Es war eine harte Schule, wenn man genau überlegen muss, was man sagt und was nicht.
Oft spricht man im Alltag nur um des Kommunizieren-Willens, ohne dabei tatsächlich etwas auszusagen. Wie haben sich deine Erfahrungen auf deine heutige Kommunikation ausgewirkt?
Vor der Erkrankung war ich ein schüchterner Mensch. Ich habe mir geschworen, Dinge zukünftig anzusprechen. Damit tue ich mir aber immer noch schwer – im Übrigen auch mit Smalltalk auf Partys. Ich finde es wichtig, beim Sprechen ans Eingemachte zu gehen.
Du kannst heute wieder sprechen und hast das sogar in einem berührenden TED-Talk mehr als bewiesen. Was möchtest du anderen Menschen mit (seltenen) Erkrankungen mitgeben?
Ich kann nur für mich sprechen, aber offen mit der Erkrankung umzugehen, hat mir zu mehr Lebensqualität verholfen. Man hat als chronisch kranke Person das Gefühl, sich zurückziehen zu müssen, weil man den Eindruck gewinnt, dass diese Welt nur für Gesunde gemacht ist. Aber hier braucht es ein Umdenken und eine inklusivere Gesellschaft. Durch meine Offenheit versuche ich, dafür zu sensibilisieren.